“Ich fühle mich wie Sophie Scholl”

Charlotte Kalmes

3. April 2021

Mir ist klar: wenn ich eine Weitere bin, die das Wort auch nur in einen Text zu integrieren überlegt, schreit die/der eine oder der/die andere LeserIn. Ein Artikel mit Bezug zum Thema Erinnerung, wie kann man da nur schon wieder einen Bezug zu COVID-19 herstellen?
Doch es gibt – meiner Meinung nach- einiges dazu zu sagen.

Durch die Corona-Pandemie hat das Thema Migration an Bedeutung und damit das Wahlkampfthema der AfD schlechthin an Bedeutung verloren, auch wenn die schwach in den Medien aufkochende Berichterstattung rund um die griechischen Lager und die humanitäre Lage im Jemen etwas Anderes auslösen sollten.
Hass und Hetze speziell aus dem rechten Parteienspektrum ist etwas leiser geworden, leider aber nur, weil aktuell ubiquitär ein alles übertönender, verwirrender Lärm in der Politik und in der streitsüchtigen Bevölkerung herrscht.
Ich kann es keinem so recht verübeln, befinden wir uns schon seit über einem Jahr in einer Pandemie, die unser Leben einschränkt und mit jedem Tag mehr Menschenleben fordert. Ich nehme den Mund wahrscheinlich keineswegs zu voll mit der Behauptung, dass sich viele von uns jemals in ihrem Leben eine solche Situation ausgemalt, geschweige denn gut gefunden haben.

Ein Skandal jagt den anderen, in jeder institutionellen Ebene, sei es im Ort, sei es in der EU, sei es im einzelnen Staat. Überall geht es gefühlt nur drunter und drüber, wie ein großer Sturm auf dem Meer, der eine mannshohe Welle nach der anderen über uns zusammenkrachen lässt. Ich finde auch der Lärm, von dem oben die Rede war, lässt sich gut mit einem Sturm vergleichen.

Und genau so, wie ein Sturm reinigend wirkt, so ist er doch in vollem Gange Unheil und Chaos stiftend.
Die Corona-Pandemie hat Strömungen zutage gebracht, die mit dem Internet alleine niemals eine solche Bühne gefunden hätten: Die Querdenker.

Verstehen Sie mich nicht falsch: meine Absicht ist es nicht, in diesem Kommentar alle Verschwörungstheoretiker als Nazis zu diffamieren. Eine Krise führt bekanntermaßen zu Unsicherheit in der Bevölkerung, in der einige sich aus Angst auch mal in einfache Antworten flüchten.

Die selbsternannten Querdenker marschieren ohne Rücksicht auf die Coronaregeln und damit fahrlässig mit dem Wohlergehen der Gesellschaft, ja mit dem gesamten Verlauf der Pandemie spielend, durch die Städte und feiern sich als Systemsprenger, die allen Geheimnissen der Welt auf die Spur gekommen sind.
Manche von ihnen mögen Globuli lutschende, heilfastende Aluhütchen sein, die alles in allem harmlos sind und unter Auflagen von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen, um gegen die Gefährdung desselbigen zu protestieren.
Doch immer und immer mehr kann man eine Instrumentalisierung dieser Bewegung durch rechtsradikale Kräfte konstatieren und dies ist meiner Meinung nach ein Grund zur Sorge, besonders, wenn diese rechten Kräfte es schaffen, das Reichstagsgebäude zu stürmen und unter den Lettern “Dem deutschen Volke” Flaggen derer gehisst wurden, die 1933 jeden demokratischen Rest aus dieser Trutzburg der Gerechtigkeit herausgeprügelt hatten.

Wenn sich eine 22-jährige Querdenkerin mit Sophie Scholl vergleicht, läuten bei mir alle Alarmglocken.
“Wer sich heute mit Sophie Scholl o[der] Anne Frank vergleicht, verhöhnt den Mut, den es brauchte, Haltung gegen Nazis zu zeigen. Das verharmlost den Holocaust und zeigt eine unerträgliche Geschichtsvergessenheit. Nichts verbindet Coronaproteste mit Widerstandskämpfer*Innen. Nichts!”, kommentierte Außenminister Heiko Maas treffend via Twitter.

“Jana aus Kassel” ist nur die erschütternde Spitze des Eisberges aus Hass und Hetze, der durch die oft als harmlos verkannten Querdenkern im Coronasturm wütend hin und her schwappt und Schiffe der Menschlichkeit auf Grund laufen lässt.

Nur so viel: die grauenhafte Ideologie des Dritten Reiches begründete sich unter anderem auf einer der ältesten und rassistischsten, menschenverachtendsten Verschwörungstheorie: dem “Weltjudentum” .

Und solange man mit Nazis zusammen auf eines der Symbolstücke unserer Demokratie marschiert, nicht bereit ist, sich im Zuge seines Demonstrationsgrundes (der Angst der Gefährdung unserer Grundrechte und unserer Demokratie) von ihnen nicht nur mündlich zu distanzieren, hat man jedes Recht verwirkt, sich mit den mutigsten Widerstandskämpfern unserer Geschichte zu vergleichen.

Quelle Titelbild: Gegor Wünsch. “le2206 – Corona-Demonstration mit Deutschlandfahnen”. CC BY-SA 2.0

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