Lehrer im NS – die Geschichte meines Urgroßvaters

Luise Alt

3. April 2021

Als Hitler 1933 an die Macht kam, hatte dies große Auswirkungen auf die Bürger Deutschlands. Die Nationalsozialisten kontrollierten das Land und befahlen, dass ihre Ideen überall verbreitet und selbst mit brutalsten Mitteln durchgesetzt wurden. Durch diese Situation waren die Menschen in ihrem eigenverantwortlichen Handeln und ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt und auch viele Berufsgruppen erlebten diese Veränderung, indem sie ihre Arbeit nicht mehr so ausleben konnten wie zuvor, da dies nicht den Vorstellungen der Nazionalsozialisten entsprach. Dies betraf auch den Lehrerberuf.

Der Lehrer hatte in der NS-Zeit eine besondere Rolle, denn Hitler verbreitete sein Weltbild vor allem, indem er die Jugend nach diesem erzog. Dies geschah in der Hitlerjugend oder in dem Bund Deutscher Mädel, doch auch die Schule spielte eine wichtige Rolle. Dort sollten die Schüler die Welt als solche kennen lernen, wie die Nationalsozialisten sie sich vorstellten und vor allem auch darauf vorbereitet werden, indem sie an die Rassenideologie und den Führerkult herangeführt wurden. Insgesamt sah Hitler die Schule als eine Vorstufe der Wehrmacht anstatt als einen Ort, an dem Kinder zu individuellen, eigenständigen Personen erzogen wurden.

All diese Dinge hatten enorme Auswirkungen auf die Lehrer der damaligen Zeit. Um Hitlers Ideen durchzusetzen, mussten sie die nationalsozialistischen Werte transportieren und ihren Schülern diese beibringen. Sie hatten die Vorgabe, Hitler zu unterstützen und sein Weltbild zu verbreiten, welches von der Rassenideologie und Gewalt geprägt war. Daher wurden gleich nachdem Hitler an die Macht kam alle jüdischen Lehrer entlassen. Kommunistisch, sozialistisch und pazifistisch eingestellte Lehrkräfte mussten um ihren Beruf fürchten und wer sich nicht fügte, wurde mit Verboten und Mahnungen bestraft.

Ein gutes Beispiel dafür sind damalige Situationen meines eigenen Urgroßvaters Johann Ganz. Er war ein Lehrer und legte 1927 seine zweite Lehramtsprüfung ab. Später arbeitete er 16 Jahre in einer Volksschule in dem Dorf Eiweiler in der Nähe von Nohfelden. In der NS-Zeit stieß er von Seiten seiner Kollegen und Vorgesetzten stets auf den Druck, er solle sich der NSDAP anschließen, welchem er jedoch lange widerstand. Da die Nationalsozialisten alle großen Organisationen übernahmen, gab es schließlich wenige Möglichkeiten in der Gesellschaft aktiv zu sein , ohne dass man nationalsozialistischen Verbänden beitrat. Johann Ganz schloss sich daher dem NS-Lehrerbund und der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (kurz: NSV) an. Er legte dort jedoch keine aktiven Dienste ab, sondern war lediglich Mitglied.

Aus dieser Situation geht der erste Vorfall hervor. Der Schulrat erwartete von ihm, dass er sich in seiner Freizeit aktiv an Diensten der NSV beteiligte und sendete ihm daher ein Schreiben zu, in dem er seine Missbilligung ausdrückte und ihm riet den Beruf zu wechseln:

Doch dies war nicht der einzige Konflikt, in den Johann Ganz im Laufe seiner Dienstzeit geriet. Er war ein gläubiger Mann und betätigte sich neben seiner Arbeit in der Schule auch in der Kirche. Dort vertrat er manchmal den Organisten, indem er an seiner Stelle die Orgel übernahm. Als der Schulrat davon hörte, wendete er sich mit zwei Briefen an meinen Urgroßvater, in denen er ihm diese Tätigkeit verbot, mit dem Vorwand, es würde ihn von Diensten in der NSV abhalten.

Dass die Nationalsozialisten meinen Urgroßvater daran hindern wollten, seine Leidenschaft auszuleben zeigt, wie herzlos ihr Menschenbild war. Sie wollten, dass jede Person ihre individuellen Hobbys und Talente ignorierte, um ihre Energien und Fähigkeiten auf Dienste zu lenken, welche Hitler von Nutzen waren.

Der dritte Vorfall, der mir berichtet wurde, zeigt außerdem, wie sehr die Nationalsozialisten auf Äußerlichkeiten fokussiert waren und anhand derer Personen ausgrenzten.

Mein Urgroßvater hatte 1936 einen Unfall mit seinem Motorrad in der Nähe von Neunkirchen. Er erlitt einen Schädelbasisbruch und verbrachte eine längere Zeit im Krankenhaus. Dort war er nicht in der Lage, seinen Bart zu rasieren und ließ ihn daher wachsen. Auch nach dem Krankenhaus blieb er dabei. Diese Umstände führten dazu, dass er zur Kreisverwaltung nach Birkenfeld bestellt wurde. Dort wurde ihm gesagt, ein deutscher Lehrer solle nicht aussehen wie ein Jesuit / ein Jude und der Bart solle abrasiert werden. Johann Ganz wollte davon allerdings nichts hören und beließ es bei seiner Frisur. Ihm kam es statt dem Aussehen und der Herkunft eines Menschen auf dessen inneren Werte an.

Weitere Vorfälle über die Arbeit meines Urgroßvaters wurden mir mitgeteilt. Beispielsweise weigerte er sich im Schulsaal das Kreuz abzuhängen und es durch ein Hitlerporträt zu ersetzen, so wie es in dieser Zeit üblich war. Außerdem berichtete mein Großvater mir von einem Radio, welches einen Sender spielte, der nicht unter nationalsozialistischer Führung stand und daher verboten war.

Insgesamt lässt sich sagen, dass ich bei der Recherche über die Konflikte zwischen meinem Urgroßvater und den Nationalsozialisten bemerkt habe, wie sehr das NS-Regime alltägliche Dinge wie das Tragen eines Bartes oder das Spielen der Orgel beeinflusst hat und dazu führen konnte, dass Menschen ihren Beruf sehr eingeschränkt ausführen oder ihn sogar verlieren konnten. Hitlers Ideen und Grundsätze waren allgegenwärtig und zu sehen, dass meine eigenen Vorfahren darunter zu leiden hatten schockiert mich. Dennoch müssen Erinnerungen und Dokumente wie diese Briefe erhalten und im Gedächtnis bleiben, um uns darüber klar zu werden, dass so etwas nicht noch einmal geschehen sollte.

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