Eine Kindheit im Zweiten Weltkrieg

Jaro Scherpf

1. Mai 2021

Meine Großeltern sind 1934 und 1935 geboren und auf der schwäbischen Alb in Burladingen und Wangen aufgewachsen. Zur Zeit des Zweiten Weltkrieges waren sie also gerade einmal im Grundschulalter. Sowohl der Vater meiner Oma, als auch der Vater meines Opas haben im Zweiten Weltkrieg gekämpft. Der Vater meines Opas kam leider nie aus dem Krieg zurück. Trotz des jungen Alters haben meine Großeltern einiges von dem Krieg mitbekommen. Mittlerweile sind sie 85 und 86 Jahre alt und konnten mir davon berichten, wie sie den Krieg wahrgenommen hatten.

Wie habt ihr den Krieg mitbekommen?

Opa: Nachts gab es immer wieder Fliegeralarm und Sirenen. Wenn das der Fall war, mussten wir immer in den Keller. In der Ferne hat man oft ganze Kolonnen an Panzern gehört oder gesehen. Im Dorf sind sie immer an der Pizzeria und an der Kirche vorbei gefahren. Einmal gab es einen Zirkus im Dorf. Viele Kinder wollten in den Zirkus gehen, als auf einmal Fliegeralarm kam. Tiefflieger sind da von Gauselfingen gekommen und haben den Zug beschossen. In diesem Zug waren Jugendliche, welche auf dem Weg nach Hechingen zu einem HJ-Treffen waren. Das haben sie anscheinend gewusst.

Oma: Meine Erinnerungen an den Krieg waren hauptsächlich, dass mein Vater fort war. Das hat mir als Kind auch sehr gefehlt. Was mir dann natürlich oft aufgefallen ist, ist dass meine Mutter häufig traurig war. Sie hat ja den Ernst der Lage viel besser gesehen als wir Kinder. Wir Kinder haben diesen natürlich nicht so gesehen wie unsere Eltern. Auch hatte meine Mutter immer Angst. Und diese Angst ist auf uns Kinder übergegangen. Wenn es bei uns nachts Fliegeralarm gab, mussten wir uns immer anziehen. Dann haben wir uns in die Stube gesetzt und mussten das ganze Licht im Haus aus machen. Abends waren dann oft alle Häuser dunkel und auch die Straßenlaternen haben nicht mehr geleuchtet, damit man von oben nichts sieht.

Opa: Ich kann mich auch noch an meine Kommunion erinnern. Der Pfarrer hat sich schon sehr beeilt und hat uns gesagt, wir sollten beim Heimgehen nicht durch die Straße an den Häusern entlang gehen. Auf diesem Heimweg habe ich am hellen Tage so viele Flieger gesehen, wie ich danach nie wieder gesehen habe. 20 Kilometer von Burladingen entfernt haben sie dann Gammertingen bombardiert.

Wusstet ihr, wo eure Väter sind und was sie genau machen?

Oma: Ja wir wussten, wo er ist. Er hat immer was gebaut. Ich weiß nicht genau was, aber ich weiß, dass er immer etwas gebaut hat. Wir konnten auch mit ihm schreiben und ich hatte auch Angst um ihn gehabt. Das war ja auch sehr gefährlich für ihn.

Opa: Wahrscheinlich hat er geholfen, den Führerbunker zu bauen. Genau weiß man das aber nicht. Meinem Vater konnten wir auch immer schreiben und er hat auch uns geschrieben.

Oma: Zum Ende des Krieges hat mein Vater geschrieben, wir sollen ihm doch einen Anzug und normale Schuhe schicken. Das hat meine Mutter dann auch gemacht. Mit diesen normalen Klamotten ist er dann von Berlin vier Wochen lang bis nach Ulm gelaufen. Er durfte nämlich nicht von den Russen oder von den Amerikanern als Soldat erkannt werden. Bis im Herbst hat er dann in Ulm bei einem Bauern auf dem Hof gearbeitet. Er hat uns in dieser Zeit nur einen Brief schicken können. Dieser kam nicht mit der Post, sondern musste von Hand zu Hand weiter gegeben werden. So wussten wir aber, dass er noch lebt.

Was habt ihr in der Schule vom Krieg mitbekommen?

Oma: Vom Krieg direkt kann ich mich jetzt an nicht so viel erinnern. Woran ich mich aber noch erinnern kann ist, dass wir uns morgens immer mit dem Hitlergruß begrüßen mussten. Davor hat es immer „guten Morgen Herr Lehrer“ geheißen und auf einmal war es „Heil Hitler“. Und wenn Ferien waren, dann standen immer alle Schüler vor der Schule und dann mussten wir immer singen: “Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt“. Als Kinder aber hat uns das gefallen. Wenn alle da gestanden sind, gesungen haben und den Hitlergruß gezeigt haben. Wir haben das als Kinder ja alles gar nicht richtig kapiert.

Opa: Als Kind hat man das nicht so wahrgenommen wie die Erwachsenen. Zu mir hat man irgendwann gesagt: “Du gehst jetzt zur Hitler-Jugend“. Dann hat man mich mitgenommen und wollte mich anmelden. Ich kam dann aber nicht in die HJ, weil ich noch zu jung war. Ich wollte aber eigentlich auch dazu gehören und Teil der Hitlerjugend sein.

Wie war es, als der Krieg vorbei war?

Oma: Direkt nach dem Krieg haben wir viele Sträflinge gesehen. Die sind aus dem Gefängnis in Ravensburg frei gekommen. Alle hatten Sträflingsanzüge an. Und wir hatten Angst vor ihnen, obwohl die uns ja gar nichts getan haben. Die waren einfach froh, dass sie raus gekommen sind.

Opa: Bei uns sind Russen frei gekommen und durch Burladingen gelaufen. Manche von ihnen haben randaliert. Die haben sich rächen wollen, haben Marmeladengläser auf den Boden geworfen. Zwei Burladinger sind dann durch das Dorf gelaufen mit einer weißen Fahne als Friedenssymbol. Damit haben sie gezeigt, dass der Krieg vorbei ist.

Oma: Nach dem Krieg kamen dann auch erst mal drei sehr magere Jahre, von 1945 bis 1948. Man hat zu der Zeit ganz wenig Sachen bekommen. Die Leute haben angefangen zu tauschen. Lebensmittel gegen Kleider oder andere Dinge. Geld war ja nicht mehr viel wert zu der Zeit.

Opa: Ich habe einen Rucksack gehabt. Da hatte ich dann 5 Liter Schnaps drinnen oder auch Tabak. Ein Liter Schnaps und ein Kilo Tabak waren damals 100 Mark  wert. Wir haben das Glück gehabt, dass meine Oma immer mit einem bekannten Textilhändler mit Schnaps tauschen konnte. So haben wir immer Kleider gehabt.

Ich danke meinen Großeltern für das Interview und die interessanten Antworten auf meine Fragen. Es war sehr beeindruckend, zu hören, wie der Zweite Weltkrieg für Kinder gewesen ist und wie sie alles wahrgenommen hatten.

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