Gute Flüchtlinge, schlechte Flüchtlinge

Charlotte Kalmes

16. Oktober 2022

Mensch ist Mensch.

Diesen Satz wird jede*r mit gesundem Urteilsvermögen unterschreiben.
Es ist eine Maxime, der alle Freiheits- und Gleichheitsrechte entspringen.
Nicht nur in der BRD, sondern auch in anderen demokratischen Staaten und supranationalen Institutionen wie der EU oder internationalen Foren wie der UN.

Es ist ein Satz mit Gewicht, mit Bedeutung, eine Regel, die auf das eigene Leben angewandt Wirkung zeigt. Respekt, Toleranz, Gleichbehandlung gegenüber Mitmenschen.
Das wünscht man sich ja auch.
„Was du nicht willst, was man dir tu’, das füg auch keinem andern zu“ lernen wir schon im Kindergarten und erinnern uns auch hoffentlich oft genug daran, um diese goldene Regel nicht aus dem Auge zu verlieren.

Doch scheint mir, dass einer beängstigend großen Zahl von Menschen genau das gerade passiert oder zu passieren droht.

Wir leben in beängstigenden, unsicheren Zeiten mit dem Damoklesschwert „Corona“ über uns, steigender Inflation, im Angesicht der globalen Erwärmung und des Klimawandels mit all seinen Folgen, und der durch den schrecklichen Angriffskrieg auf die Ukraine durch die Russische Föderation ausgelöste Energiekrise, den Grauen im Iran. Und noch so viel mehr, dass ich meine Aufzählung an dieser Stelle lieber beende.
Das ist verdammt beängstigend. Zumindest empfinde ich es so, und das wohl nicht allein.

Angst ist ein starkes Gefühl, mit dem umzugehen gelernt sein will. Man braucht ein Ventil, etwas, worauf man seine eigene Machtlosigkeit projizieren kann.
Unter anderem auch, weil man vielleicht durch das eigene Handeln ein klitzekleines Bisschen zur Besserung dieser globalen Probleme beitragen kann, dies aber sprichwörtlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein bedeutet und sehr unbequem sein kann.

Was ist einfacher?

Wir suchen einen Schuldigen. Einen Sündenbock.

Neben der – unabhängig von Legislaturperiode und Partei – immerzu unfähigen Regierung braucht es eine andere Gruppe, nahbarer als die vermeintlich so abgehobenen Politiker*innen, die sich als Vertreter*innen mit unseren Problemen herumschlagen dürfen. Wer kommt da in Frage?

Am besten eignen sich Fremde, die sich von so sehr von uns unterscheiden. Die nicht hier in unsere schöne Gesellschaft reinpassen. Zum Beispiel weil sie von anderer Herkunft sind.

Kommt das nicht unangenehm bekannt vor?
Throwback to 1933, Throwback to 2015, tausend Beispiele könnten folgen.

Geflüchtete Menschen. Menschen mit anderer Ethnizität, aus Kulturen, die sich mehr oder weniger von unserer weißen, mitteleuropäisch-privilegierten unterscheiden, mit anderen Sprachen, die wir nicht verstehen.
„Die sehen so komisch aus, die reden ja auch so komisch und die essen gar keine Leberwurst…“

Glücklicherweise konnten schon viele der massiv vom Krieg bedrohten ukrainischen Geflüchteten hier in Deutschland zeitweise Sicherheit finden. Die hohe Anzahl von Menschen stellt eine Herausforderung dar, die jedoch von Anfang an mit einem ganz anderen Tenor in Angriff genommen wurde als zum Beispiel 2015.

Das liegt unter anderem daran, dass die Ukraine weitaus westlicher geprägt ist als Syrien, die Menschen dort uns äußerlich ähnlicher sehen. Manch eine*r mag denken: es sind ja auch fast weiße Europäer*innen.

Damit spricht man nicht nur den Menschen, die sich vor dem ungeheuren Unheil in ihrer ukrainischen Heimat in Sicherheit gebracht haben, ihre Kultur und Identität ab, man kreiert ein Raster.

Man füttert die maßlose, unverschämte, menschenverachtende Frechheit, die Geflüchtete nach ihrer Herkunft beurteilt und als gut oder schlecht klassifiziert.

Ich war sehr froh, als zu Beginn des Ukraine-Krieges so schnell Hilfe für alle Bedürftigen auf dem Weg war, doch als jemand, die sich noch sehr gut an 2015 und die sogenannte „Flüchtlingskrise“ erinnert, war ich etwas stutzig.
Hatte ich es anders in Erinnerung, oder warum wurden die Ukrainer*innen herzlicher aufgenommen als damals die Menschen aus Syrien, Eritrea, Äthiopien, Iran und Jemen?

Ja.

Und dieses Ja tut mir weh. Es macht mir sogar mehr Angst als die ganzen globalen Probleme, aus Grund wir überhaupt Sündenböcke suchen. Weil es diese große Maxime zu Beginn über Bord wirft. Weil dann Mensch eben nicht mehr gleich Mensch ist.

Es mag ja sein, dass die kulturellen Unterschiede der Ukraine gegenüber den mitteleuropäischen Gepflogenheiten geringer sind als beispielsweise die in Syrien.
Daraus gefolgert stellt sich die Integration natürlich auch etwas aufwändiger dar und ist somit betriebswirtschaftlich betrachtet weniger rentabel.

Allein diese Argumentationslinie ist in meinen Augen menschenverachtend. Wer sind wir, andere Menschen aufgrund ihres vermeintlichen ökonomischen Nutzens zu klassifizieren?

Man stelle sich das auf uns angewendet vor, in einem anderen Szenarium. Deutsche und griechische Geflüchtete in der Türkei, weil hier in Europa ein Krieg um die Demokratie ausgebrochen ist. Aber „wir Deutschen“ werden einfach nicht so gern gesehen wie die Griechen, weil wir bei jeder Kleinigkeit unseren Anwalt einschalten wollen und ständig der gesamte öffentliche Strandabschnitt schon morgens um sechs Uhr von Geflüchteten mit 50+ Sonnenschutz eingekleistert mit Handtüchern reserviert wird.

Das Beispiel ist sogar eigentlich noch zu lustig, um die Ernsthaftigkeit der Situation zu portraitieren.

Nun ja, wahrscheinlich muss ich mir um dieses Problem bald keine Sorgen mehr machen, denn auch die Ukrainer*innen stehen jetzt im Kreuzfeuer. Nehmen sie uns doch auch bald alle Arbeitsplätze weg und fahren mit ihren protzigen Autos bei den Zahnärzt*innen vor, um unser Gesundheitssystem zu sabotieren und auszusaugen.

Wie Parasiten.

Dieses Bild ist mir auch leider ein bisschen zu bekannt. Gab so einen kleinen Mann mit seltsamem Bart aus Österreich, der hat auch immer was vom „deutschen Volkskörper bedroht von den jüdischen Parasiten“ gefaselt, keine Ahnung, habe im Geschichtsunterricht immer Schiffe versenken – Blitzkrieg Edition gespielt.

Aber ja, muss ja stimmen.

Ich würde auch für ein entwürdigendes Asylverfahren, ohne Arbeitserlaubnis, ohne Hoffnung und Zukunftsperspektive nach Schweden flüchten, um den Leuten dort ihre Köttbullar streitig zu machen.

Quelle Titelbild: Alisdare Hickson: Love and respect everyone!. Flickr. CC BY-SA 2.0

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