Für uns wird der Sommer kommen!

Louisa Hobler

23. April 2023

April. Jahr für Jahr: der April macht, was er will. Warten auf besseres Wetter, sonnige Stunden nach den grauen Tagen des Winters, Licht und Wärme nach Dunkelheit und Kälte.

Für uns wird der Sommer bald kommen.

April 1943. Die Welt ist dunkel, seit Jahren, unter dem NS-Regime, auch und besonders in Warschau: 1940 errichten die Nationalsozialisten ein “Sammellager” für Juden und Jüdinnen der Warschauer Umgebung und anderer Teile Polens, sowie Deutschlands. Rund 450 000 Menschen, Männer, Frauen, Kinder unter schlimmsten Bedingungen, eingesperrt, versklavt, allem beraubt. Es herrschen Unterdrückung, Zwangsarbeit und Deportationen in Konzentrations- und Vernichtungslager (Majdanek und Treblinka), die Menschen sterben an Krankheit, Hunger, Erschöpfung. Kaum einer vermag noch an hellere Tage zu denken, auf das Licht nach der Dunkelheit zu hoffen. Doch zur Vorwegnahme, dies ist kein Märchen, kein Film, es gibt kein “Happy End”, aber es gibt mutige Menschen, verzweifelte Menschen, die nicht darauf warten wollen, ermordet zu werden, deportiert oder zugrunde zu gehen unter der Herrschaft des NS-Regimes.

Mitte April 2023. Das Frühlingswetter lässt auf sich warten, die Tage beginnen grau, doch es gibt ein paar Tage des Sonnenscheins, der Frühlingswärme.

Für uns wird der Sommer kommen.

19. April 1943. SS-Truppen marschieren in das Ghetto ein, um die Verbliebenen zu holen. Hunderttausende “Bewohner” wurden bereits verschleppt, hunderttausende schon ermordet, den restlichen zehntausenden Menschen steht kein besseres Schicksal bevor, die “Liquidierung”, die Auslöschung eines ganzen Volkes, der Genozid an Juden und Jüdinnen, Sinti*zze und Rom*nja und die Ermordung vieler weiterer Bevölkerungsgruppen, ist perfide geplant. An diesem Tag läuft es nicht nach Plan für die Unterdrücker, die Warschauer Jüdinnen und Juden warten nicht auf ihre Schlächter, wie Verurteilte auf den Henker. Ein Aufstand bricht aus, der Aufstand der Menschen Warschaus, die nichts mehr zu verlieren, aber einen frei gewählten Tod im Widerstand zu gewinnen haben -dabei möchte ich hier kein heroisches Bild von besonderer Würde, Ruhm und Ehre im kriegerischen Tod zeichnen, jedoch die Befreiung skizzieren, durch das In-die-Hand-Nehmen des eigenen Schicksals.

Mitte April 2023. Das Wetter ist wieder etwas schlechter gemeldet, erneute Ernüchterung und Enttäuschung. Doch für uns wird der Sommer kommen!

April 2023. Auch der Aufstand konnte die Dunkelheit der Nationalsozialisten nicht lange unterbrechen und anders als das Wetter folgt die Grausamkeit der Geschichte keinen Jahreszeiten, anders als auf den jetzigen Frühling folgte kein Sommer, das NS-Regime terrorisierte Deutschland, Europa und die Welt noch weitere zwei Jahre und die hinterbliebenen Wunden sind tief.

Mai 1943. Die Aufstände, kaum bewaffneter, unausgebildeter Truppen gegen eine gut ausgestattete Übermacht, können über knapp einen Monat aufrechterhalten werden, ein Lichtblick, bis sie im Mai blutig niedergeschlagen werden und das “Ghetto” am 16. Mai völlig niedergebrannt und zerstört wird. Die Kämpfe fordern über 12 000 Tote, mehr als 30 000 werden bei der Niederschlagung und danach erschossen, mehr als 7 000 in Vernichtungslager deportiert, nur wenige können durch Kanalisationsschächte oder auf anderen Wegen flüchten. Der SS-Gruppenführer schreibt abschießend: “Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk Warschau mehr.”

Heute sind wir in der Verantwortung, den drohenden Schatten Licht entgegenzubringen, denn die Welt darf nie wieder in dieser Dunkelheit versinken, die immer und überall durch Konflikte, Krieg und Unterdrückung droht (Ukraine, Naher Osten, Afrika, Amerika, China, Korea, etc.). Wir gedenken derer, die ihr Leben ließen, in diesen Tagen vor allem der Toten in Warschau vor 80 Jahren, jedoch auch derer, die in jedem anderen Konflikt dieser Welt, umkamen und -kommen. Doch wir müssen mehr machen als gedenken, wir müssen aktiv werden und wachsam bleiben!

Denn für zu viele Opfer kam kein Sommer mehr!

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