Rechtsruck in Deutschland – eine Gefahr für die Demokratie?

Annika Quinten, Maya Fritz

2. Juli 2023

Die Brandmauer gegen Rechts wurde gesprengt – und jetzt?

Am 25.06. geschieht im thüringischen Landkreis Sonneberg etwas, das lange für undenkbar gehalten wurde: Der AFD-Kandidat Robert Sesselmann gewinnt mit 52,8 Prozent der Stimmen eine Stichwahl um den Posten des Landrats und ist damit bundesweit der erste AFD-Politiker, der ein solches Amt bekleidet. Geschlagen hat er den Gegenkandidaten der CDU, Jürgen Köpper, der auch von SPD, FDP, Grünen und Linken unterstützt wurde.

Björn Höcke, der Fraktionsvorsitzende der AFD Thüringen, die als einziger AFD-Landesverband vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird, spricht von einem „politische[n] Wetterleuchten“, das von Sonneberg ausgehe und erhofft sich, in kommenden Landtagswahlen an diesen Erfolg anknüpfen zu können. Auch auf Bundesebene gewinnt die AFD an Zustimmung: Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, würden laut Umfrageergebnissen des Forsa Instituts 19 % der Deutschen der AFD ihre Stimme geben. Damit wäre sie nach der CDU die zweitstärkste Kraft.

Diese Entwicklung ist besonders erschreckend, wenn man sich bewusst macht, wie hemmungslos rechtsradikal sich einige AFD Politiker bereits in der Vergangenheit geäußert haben: Das Holocaust-Mahnmal in Berlin wird durch Höcke zu einem „Denkmal der Schande“ deklariert und der Holocaust selbst wird von Alexander Gauland als „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte bezeichnet.

Im Ausland zeigt man sich entsprechend entsetzt über das Wahlergebnis in Sonneberg. Die Tageszeitung „Libération“ aus Frankreich schreibt über „eine große Niederlage für die deutsche Demokratie“ und der polnische Nachrichtensender „TVP Info“ berichtet über „Unruhe in Deutschland“

Somit macht es die gegenwärtige Situation nicht abwegig, von einem Rechtsruck in Deutschland zu sprechen. Wodurch lässt es sich also erklären, dass immer mehr Bürger in rechten Parteien wie der AFD eine echte Alternative sehen und extremistisches Gedankengut in Kauf nehmen?

Betrachtet man die Wählerdemographie der AFD, muss man in zwei Gruppen unterscheiden: Überzeugungswähler und Protestwähler.

Die Letzteren fühlen sich durch die Politik der Altparteien nicht mehr ausreichend repräsentiert und entwickeln das Bedürfnis, ihnen durch die Wahl der AFD einen Denkzettel zu verpassen. Die politischen Inhalte der AFD spielen dabei kaum eine Rolle, populistische und fremdenfeindliche Positionen werden gebilligt. Dazu tragen auch Konflikte zwischen den Parteien der Ampelkoalition und innerhalb der Bundesverbände der einzelnen Parteien bei, die nicht selten öffentlich ausgetragen werden. Dadurch wird der Anschein erweckt, dass sie keine klare Linie fahren und für realpolitische Themen kein Raum bleibt. Auch CDU und Linken gelingt es nicht, in ihrer Rolle als Oppositionsparteien eine klare politische Identität zu finden, wodurch sie Wähler an die AFD verlieren.

Die Motivationen, AFD zu wählen, sind bei Überzeugungswählern andere. Sie erhoffen sich einfache Lösungen, die sie aus ihrer aus tiefgreifenden strukturellen Problemen resultierenden sozialen Notlage befreien. Von der AFD werden Feindbilder geschaffen, welche als Ursache für alles, was im Land politisch schiefläuft, hinhalten: Flüchtlinge, angebliche „Klimahysteriker“, Muslime, …

Dadurch umgeht die AFD eine Herausforderung, der sich die anderen Parteien stellen: das Finden von Antworten auf drängende politische Fragen der Gegenwart, etwa soziale Ungerechtigkeit, strukturelle Differenzen zwischen dem ehemaligen Ost- und Westdeutschland oder die Inflation.

Auch wenn es durchaus erklärbar ist, warum viele Wähler ihr Kreuz bei der AFD setzten, unterstützen diese immer noch eine Partei, die zu Teilen das demokratische System und auch die Menschenwürde als Staatsfundamentalnorm verneint und verschiedenen Gruppen ihr Recht auf Existenz abspricht.

Doch was muss sich ändern, damit weiterer Zulauf vermieden werden kann, da die Brandmauer gegen Rechts augenscheinlich bröckelt?

Es muss wieder eine Sozialpolitik her, die den Wähler anspricht und gleichzeitig die Schere zwischen Arm und Reich verkleinert, sodass weniger Leute in die Arme der AFD rennen. Hier muss besonders auf die schwachen sozialen Strukturen im ehemaligen Ostdeutschland eingegangen werden, da dort die Wählerschaft besonders zahlreich ist. Koalitionsstreit muss hinter geschlossenen Türen und nicht auf dem Talkshow-Parkett ausgetragen werden, damit die Regierung nicht ihre Integrität einbüßt.

Zuletzt brauchen wir mehr Aufklärung. Wir dürfen nicht einfach akzeptieren, dass ein beachtlicher Teil der Wähler die Hoffnung in unsere Demokratie aufgegeben zu haben scheint. Wir müssen kämpfen, für ein Deutschland, in dem die Menschenwürde auch dann unveräußerlich bleibt, wenn man nicht in das „gutbürgerliche“ AFD-Narrativ passt.

Quelle Titelbild: Image by 8photo on Freepik

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